Interview mit Johannes Nink,
Dietgard Brandenburg und Sophia Herber
FRAGE: Wieso hast Du, Johannes, den Song für das Thema Totentanz ausgewählt?
Johannes Nink: Der Song ist ein Klassiker in der Jazzgeschichte. Ich spiele den Song bereits seit Jahrzehnten regelmäßig. Er gehört für mich zum Leben dazu, ebenso wie eigentlich für alle Menschen die Trauer zum Leben dazugehört.
Sophia Herber: Ich kannte den Song irgendwie, habe aber nie wirklich auf den Text gehört und musste erstmal herausfinden, wie der Zusammenhang zum Thema Totentanz / Pandemie ist.
Wie kam es zu der Idee, dem Song St. James Infirmary eine Version der Geschichte von Orpheus und Eurydike zu unterlegen?
J. N.: Wir haben gemeinsam aus den etlichen textlichen Varianten des Songs die ausgesucht, die uns am besten gefallen hat.
S. H.: Wegen der verschiedenen Textfassungen haben wir diskutiert, worum es hier eigentlich geht und welche Textversion welchen Schwerpunkt setzt. Auch als Gambler-Song bekannt, kann man sich den Protagonisten in manchen Textfassungen eher als einen Säufer vorstellen, der an der Theke jeden Abend die selbe Story zum Besten gibt.
Wir haben uns für den "edlen Leidenden“ oder Trauernden entschieden, da wir diese Version besser mit unserem Thema Totentanz / Verlust / Trauer verbinden konnten.
J. N.: Über die Fragestellung, warum jemand angesichts des Todes der Geliebten prahlt, dass sie nie jemand besseren finden wird, ist uns die Überlegung gekommen, dass dies eine Form der Bewältigung ist, und die vermeintliche Eifersucht eine Reaktion auf die Tatsache, dass die Geliebte freiwillig beim Tod bleibt, statt zurückzukehren.
S. H.: In einer Strophe, die wir nicht verwendet haben, ist darüber hinaus von dem „twenty dollar gold piece on my watch chain“ die Rede, das man dem Protagonisten mitgeben soll, wenn er selbst stirbt. Die Idee der Münze erinnert an den mythologischen Charon, den Fährmann, der die Toten für eine Münze über den Totenfluss (Acheron/Styx) zum Reich des Hades befördert. Dieses Bild führte mich assoziativ zu Orpheus, der seine Eurydike aus dem Totenreich zurückholen will. Was mir erstmal ein bisschen weit hergeholt erschien, ergab im Gespräch mit Johannes plötzlich Sinn.
J. N.: In einem Seminar der Musikwissenschaft zum Thema Orpheus und Eurydike ergab sich die Fragestellung, ob einer von beiden eventuell freiwillig die gemeinsame Rückkehr aus dem Totenreich sabotiert. Die etwas verkürzte Begründung: Es sei vielleicht besser, den Tod zu akzeptieren und mittels Musik zu verarbeiten, als tatsächlich aus dem Totenreich zurückzukehren.
S. H.: …und sich den Problemen realer Beziehungen zu stellen...
Irgendwie schien es, als hätte der Song einen wirklichen Bezug zur Orpheus-Geschichte. Der Protagonist verarbeitet seinen Verlust musikalisch. Er spielt immer wieder den St. James Infirmary Blues, hat die Musik gegen die Liebe eingetauscht. Es gab keine andere Möglichkeit mehr, die Geschichte zu erzählen. Da sie aber jetzt zu unserer eigenen Fassung geworden war, konnte sie auch nicht mehr mit bestehenden Gemälden dargestellt werden.
So kam es zu der Idee, Illustrationen für unsere Version anfertigen zu lassen. Dietgard Brandenburg hat eine Beziehung zur Musik und ein Verständnis dafür. Zum Glück hatte sie Zeit und Lust, mit uns zusammen zu arbeiten!
Dietgard, was ist Deine Verbindung zur Musik?
Dietgard Brandenburg: Meine Verbindung zur Musik ist mir zum einen in die Wiege gelegt. Meine Großmutter, die bei uns im Haushalt wohnte, war Opernsängerin und hat mit uns immer musiziert und allen ihren Enkelkindern Klavierspielen beigebracht. Heute bin ich mit einem Jazzmusiker verheiratet und so habe ich immer noch viel Musik in meinem Leben. Und das ist sehr schön!
Inwiefern spielt Musik für Deine Arbeit als Illustratorin eine Rolle?
D. B.: Wenn ich beauftragt werde, zu Musik zu illustrieren, empfinde ich mich als Übersetzerin - sozusagen von Klanglich in Visuell. Da spielt zwar auch stets subjektives Empfinden eine Rolle, aber trotzdem versuche ich bildlich umzusetzen, was der Musik innewohnt.
Bei "St. James" war das z.B. jetzt diese besondere Liebesgeschichte, zum einen tragisch aber auch ein bisschen resigniert. Und dieser süße Abschiedsschmerz, in dem der Sänger seine neue Ausdrucksform gefunden hat.
Die immer schöne Geliebte, für immer jung. Der ewig Liebende, für immer leidend. Der lauernde Tod, immer lockend.
Diese drei Figuren habe ich dann so angelegt, dass sie sich beliebig austauschen und ineinander blenden lassen. Das betont dann dieses Wechselspiel aus Glück, Trauer und Sehnsucht.
Wie hast Du die drei Figuren entwickelt und einen illustratorischen Stil für sie gefunden?
D. B.: Interessant fand ich die Idee, indirekten Bezug auf Orpheus und Eurydike zu nehmen. So habe ich die Frau so gekleidet, dass sie auch in die griechische Mythologie gepasst hätte. Die Farbwelt habe ich sehr gedeckt gehalten und reduziert, die Farben greifen sich immer wieder auf. Das Nachtblau des Todes findet sich in allen drei Figuren wieder. Das Weiß des Kleides ist das der Gebeine usw.
Strichführung und Hintergrund sind rough und handgemacht, passend zum Sound des Grand Jazz Ensembles.
S. H.: Das ist Dietgard wirklich hervorragend gelungen! Mit ihren Figuren zu arbeiten, hat mir sehr viel Spaß gemacht. Die Charaktere, die sie gezeichnet hat und die Haltungen, die sie gefunden hat, haben es mir leicht gemacht, mit eigentlich einer relativ begrenzten Anzahl an Bildern unsere Geschichte zu erzählen.
Welche Elemente an dem Song und der Geschichte interessieren Euch in Bezug auf das Thema Trauer, vielleicht auch in Bezug auf Corona?
J. N.: Ein Grund für die Auswahl ist die Tatsache, dass der Song vermutlich zu einer Zeit entstanden ist, in der tödliche Infektionskrankheiten sehr verbreitet und häufige Todesursache waren.
S. H.: Mich hat besonders der psychologische Aspekt interessiert. Orpheus’ Gang in die Unterwelt kann man mit einer Trauerphase gleichsetzen, in der für den Trauernden die Konturen zwischen dem Reich der Lebenden und der Toten aufgelöst erscheinen. Die geliebte Person ist noch nicht ganz fort, man hat die neue Realität noch nicht akzeptiert. Dieser rohe oder wunde Zustand, seine Fragilität, aber auch das Potenzial, das in diesem Zwischenreich für Spiritualität und Kunst liegt, finde ich enorm spannend. Auf eine Person, die sich in diesem Zustand der Durchlässigkeit befindet, muss man gut aufpassen, ohne sie darin zu stören.
Im Bezug auf Corona finde ich es wichtig - dafür steht ja auch unsere Beschäftigung mit dem Totentanz insgesamt - sich bewusst zu machen, wie viele Menschen diese Trauer gerade erleben. Der Tod ist zu jeder Zeit allgegenwärtig, aber im Moment verbindet diese Erfahrung Gesellschaften weltweit. Statt von Spaltung zu sprechen, sollten wir uns bewusst machen, dass wir gesellschaftlich gerade mit dem Zustand von Trauer und Verlust umgehen müssen - egal, ob wir selbst betroffen sind oder nicht.
Credits
St. James Infirmary
Traditionel
Arrangement: Paul Severson
Grand Jazz Ensemble der Universität zu Köln
Leitung: Johannes Nink
Vocals: Johannes Nink
Bass: Alex Rönz
Guitar: Konstantin Bunte
Piano: Bernhard Nink
Drums: Jonathan Saatzen
Trumpets: Kilian Braun (Solo), Sven Ossendorf
Saxophons:
Alto: Roland Schild (Solo), Antonia Caspari
Tenor: Günther Kamm (Solo), Maren Haverkamp, Derk Oncken
Flute: Gesa Gerhardt
Clarinet: Aline Willems (Solo)
Trombone: Yves Schwarze
Tonaufnahme und Audio-Mix: David Schwager
Illustration: Dietgard Brandenburg
www.dietgardbrandenburg.de
Idee und Storyboard: Sophia Herber & Johannes Nink
Montage der Illustrationen: Sophia Herber
Lyrics
I went down to St. James Infirmary
I saw my baby there
Stretched out on a long, white table
So sweet, so cold, so fair.
Let her go, let her go, and bless her
Wherever she may be.
She may search the whole world over
She'll never find a sweet man like me.
Folks, this is the end of my story
And if anyone should ask
Just go ahead and tell them
That I have the St. James Infirmary blues.